„Ich habe mich nicht mächtig gefühlt“

08 Jul 2013

„Ich habe mich nicht mächtig gefühlt“

Der jähe Absturz aus einer Machtposition. Katja Kraus hat ihn erlebt – aus der Vorstandsetage des HSV. Sie fällt in eine Leere, welche die ehemalige Torhüterin des FSV Frankfurt mit einer Reise zu erfolgreichen Menschen mit ähnlichen Erfahrungen füllt. Mit ihrem Buchprojekt wollte sie herausfinden, was ihre Gesprächspartner auf ihrem Weg an die Spitze angetrieben hat. Wie sehr Erfolg und Macht eins werden mit einer Person. Und was aus diesen Menschen wird, wenn sie diese Macht verlieren. Aus Katja Kraus ist etwas geworden: eine Frau, die ihr neues berufliches Leben als Buchautorin und Managementberaterin sehr genießt. Ein Beispiel, das Mut macht.

Mit Katja Kraus sprach Ewald Manz.

 

positionen: Frau Kraus, Sie haben gerade ein Buch über Macht und über ehemals Mächtige in Politik, Wirtschaft, Sport und Kultur veröffentlicht. Was war der Beweggrund für Ihr Buch?

Katja Kraus: Ich hatte während meiner beruflichen Laufbahn die Chance, viele erfolgreiche Menschen in exponierten Positionen zu beobachten und auch kennenzulernen. Mich hat dabei immer interessiert, was diese Menschen antreibt, ihren Weg bis an die Spitze zu gehen. Wie sie mit Erfolg umgehen, wie sehr sie bei sich selbst bleiben oder ob sie nach und nach mit der Position verschmelzen. Wie sie mit Unsicherheiten und Zweifeln umgehen, was Misserfolg mit ihnen macht und was nach einem Bruch passiert. Mein Interesse an Menschen und an der Beantwortung dieser und vieler weiterer Fragen haben mich los gehen lassen.

 

positionen: Was verstehen die von Ihnen porträtierten Persönlichkeiten wie Roland Koch, Gesine Schwan, Ole von Beust oder Ron Sommer unter Macht? Haben Sie bei diesen Gesprächspartnern Gemeinsamkeiten im Umgang mit Macht festgestellt?

Katja Kraus: Alle meine Gesprächspartner haben das klare Bekenntnis zum Machtanspruch vermieden. Das liegt sicher daran, dass Macht so negativ besetzt ist und oft mit Begriffen wie Machtmissbrauch assoziiert wird. Aspekte der Macht wie Gestaltungsspielraum, Entscheidungsfreiheit und Einfluss wollen allesamt jedoch gern haben. Ich habe bei meinen Gesprächspartnern eine sehr intensive Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle und auch Wirkungskraft gespürt. Vielleicht aber auch, weil die allermeisten ihre machtvolle Position zum Zeitpunkt des Gesprächs verloren oder verlassen hatten.

 

positionen: Ist das Streben nach Macht aus Ihrer Sicht ein entscheidender Motivator für die Karrieren der beschriebenen Damen und Herren?

Katja Kraus: Meine Überzeugung ist, dass Macht nicht das Initiationsmoment großer Karrieren ist. Erst einmal entdecken die Menschen eine Begabung. Eine Leidenschaft, die sie zu besonderen Leistungen führt. Auch Geld ist in den seltensten Fällen der erste Antrieb. Sicher bekommt beides im Verlauf der Biografie eine Bedeutung – Ausgangspunkt eines erfolgreichen Weges ist es meist jedoch nicht. Das haben auch alle meine Gesprächspartner so bestätigt.

 

positionen: Sie selbst waren acht Jahre lang im Vorstand des Hamburger SV. Wie haben Sie dort Macht empfunden?

Katja Kraus: Ich habe mich nicht mächtig gefühlt, weil sich Macht eben nicht anfühlt. Aber es war mir bewusst, dass zu der Funktion Macht gehört. Sichtbar wird Macht vor allem im Verhalten anderer Menschen. Darin liegt auch oft eine Überhöhung der machtvollen Rolle. Ich mochte meine Aufgabe einfach extrem gern. Ich mag es, zu entscheiden, Verantwortung zu tragen und am Ende auch an den Entscheidungen gemessen werden zu können. Aber ich habe immer versucht, sehr achtsam damit umzugehen.

positionen: Sie waren damals die einzige Frau im Vorstand eines Bundesligaklubs. Hat man(n) Ihre Macht deshalb infrage gestellt?

Katja Kraus: Nein, das habe ich so nicht erlebt. Die einzige Frau zu sein, ist auch immer eine Chance. Durch die Exponiertheit war es leichter, gehört zu werden und Aufmerksamkeit für meine Themen und Anliegen zu bekommen. Das kam mir eher zugute.

 

positionen: Dass Sie Vorstand geworden sind, haben Sie einmal mit den Worten kommentiert: „Mir ist das so passiert, das hatte ich nicht geplant.“ Würden Sie heute anders vorgehen? Wer hat Sie in Ihrer beruflichen Karriere unterstützt?

Katja Kraus: Ich würde alles wieder so machen, denn auch wenn ich keinen Karriereplan hatte und auch nicht das Ziel, irgendwann HSV-Vorstand zu sein, war meine Karriere nicht zufällig. Die jeweiligen Schritte ergaben sich immer aus der Art und Weise, wie ich meine Aufgabe ausgefüllt habe. Es gab in meiner Laufbahn sicher immer wieder Menschen, die etwas in mir gesehen haben und mich deshalb gefördert haben. Übrigens war das auch jetzt beim Schreiben ganz ähnlich. Auch diese Unterstützung war mir immer ein Antrieb, das, was ich getan habe, mit dem höchstmöglichen Anspruch zu tun. Ich habe dann selbst auch immer Mitarbeiter für Aufgaben motiviert, die zunächst ein bisschen zu groß erschienen, aber die Chance auf Wachstum boten.

 

positionen: Im Frühjahr 2011 mussten Sie einen Rückschlag wegstecken, als der HSV-Aufsichtsrat beschloss, Ihren Vertrag nicht zu verlängern. Unmittelbar danach haben Sie mit der Recherche für Ihr Buch begonnen. War das eine Art Therapie, um mit der verlorenen Macht umzugehen?

Katja Kraus: Erst einmal hatte ich ein enormes Interesse, mich intensiv mit den Geschichten meiner Gesprächspartner zu beschäftigen, wobei die Idee zu diesem Buch schon seit einiger Zeit in mir gewachsen war. Ebenso die Sehnsucht, mich mal wieder ganz und gar auf etwas einzulassen und Raum für Gedankenfreiheit zu schaffen. Also der radikale Kontrast zur hektischen, mitunter überdrehten Fußballbranche. Aber in den Gesprächen gab es dann durchaus Momente, die mich in meinen eigenen Empfindungen berührten und mir Punkte aufzeigten, die ich bis dahin nicht gesehen hatte. Das war schon auch therapeutisch.

 

positionen: In Ihrem Buch thematisieren Sie den jähen Absturz in die Bedeutungslosigkeit, durch den man sich selbst neu kennenlernt. Welche neuralgischen Punkte haben Sie persönlich in dieser Lebensphase an sich entdeckt?

Katja Kraus: Ich habe mir in der turbulenten Phase der Entscheidung über die Verträge zwischen dem Verein und mir, in der immer auch die Möglichkeit des Endes lag, viele Fragen gestellt und mich damit vorzubereiten versucht. Wer bin ich ohne diese Funktion? Wie gehen die Leute mit mir um? Was kann ich auf eine vergleichbare Weise? Und viele mehr. Aber als die Entscheidung dann gefallen war, habe ich zunächst eine große Leere empfunden. Die konnte ich dann schnell mit meinem Buchprojekt und auch anderen Aufgaben füllen. Aber das Schwierigste ist es gewesen, nicht dem Impuls zu folgen, möglichst schnell wieder vertrautes Terrain zu betreten und einen Job auf ähnlichem Niveau anzunehmen. Ich wollte der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit Raum und mir die Chance für Entdeckungen geben. Dabei gab es auch sehr wackelige Tage, denn eine Funktion bietet auch viel Stabilität und Sicherheit.

 

positionen: „Ich habe Macht verloren und Selbstbestimmung gewonnen“, schreiben Sie im Vorwort Ihres Buches. Dass einer, der mehr Macht hat, auch mehr selbst bestimmen kann, stimmt also nicht?

Katja Kraus: In meiner HSV-Funktion bin ich allzu oft fremdbestimmt gewesen. Je öffentlicher eine Aufgabe ist, desto größer ist auch der Druck. Die Geschwindigkeit, mit der Entscheidungen getroffen werden, die Härte der Beurteilung. Der Bundesligabetrieb wird inzwischen in Echtzeit reportiert und wenn man sich dafür verantwortlich fühlt, wird man schnell zum Getriebenen.

 

positionen: Was machen mächtige Personen, wenn ihre Macht bröckelt?

Katja Kraus: Da gibt es sehr unterschiedliche Muster. Die einen bilden Truppen, entwickeln Strategien oder ziehen in den Kampf. Die anderen verfallen in Agonie, vermeiden Entscheidungen und hoffen auf eine Entwicklung zu ihren Gunsten – das gewonnene nächste Spiel zum Beispiel. Und manche blenden es auch einfach aus, machen weiter wie bisher, wie das bekannte Beispiel eines Kanzlers in der Elefantenrunde zeigt.

 

positionen: Im Rückblick auf Ihre HSV-Erfahrung: Was sind die Zeichen schwindender Macht? Hat Ihre Entmachtung Sie kalt erwischt?

Katja Kraus: Nein, eine solche Entwicklung kommt sehr selten ohne Vorzeichen. Die Frage ist nur, wie man sie deutet. Allerdings ist es auch gefährlich, permanent nach Anzeichen schwindender Macht zu suchen, denn dann findet man sie vermutlich auch überall. Insbesondere in sehr öffentlichen Jobs, wo man die Stimmungslage um einen herum täglich in den Zeitungen nachlesen kann.

 

positionen: Was passiert nach dem Tag X? Haben Sie eine Empfehlung, wie ehemals Mächtige mit der entstandenen Leere bestmöglich umgehen können?

Katja Kraus: Ich habe mich besonders interessiert für diesen Moment, der tatsächlich das Ende darstellt. Wohin geht man nach dem Rücktritt? Was machen die Menschen an diesem Tag? Und bei beinah allen waren es sehr stille Momente, traurige Abende im Kreise ehemaliger Kollegen oder der Familie. Oftmals hat die ganze Wucht der Entscheidung erst in den Tagen danach an Raum gewonnen. Meist gab es an diesem neuralgischen Tag auch erst einmal das Gefühl von Erleichterung, nach den zehrenden Zeiten zuvor.

 

positionen: „Ohne Macht ist man mehr Mensch.“ Ein Zitat von Ron Sommer, dem ehemaligen Chef der Deutschen Telekom, aus Ihrem Buch. Haben Sie das persönlich genauso empfunden?

Katja Kraus: Nein, ich habe auch in meiner Funktion immer versucht, sehr nah bei mir zu bleiben. Die Tatsache, dass mir das meist, gelungen ist, hat auch dazu geführt, dass ich unbeschadet geblieben bin. Nichts ist anstrengender, als permanent eine Rolle zu spielen. Aber natürlich erfordert die Position auch Verhaltensmuster, die nicht selbstverständlich zur eigentlichen Persönlichkeit gehören. Was Ron Sommer meint, ist die Mauer, die gebaut wird, je erfolgreicher man ist, und die Seltenheit des ehrlichen Kontaktes mit Menschen. Das wirkliche Interesse an einer Begegnung, die nicht nur das medial gesetzte Bild zu bestätigen sucht.

 

positionen: Wohin wird Sie Ihr neues Leben beruflich führen? Es heißt, dass Sie an einem neuen Buch sitzen. Wird aus der Ex-Profitorhüterin und dem ehemaligen Bundesligavorstand eine Vollzeitbuchautorin?

Katja Kraus: Ich werde in jedem Fall ein zweites Buch schreiben, ich habe so viele Themen und Gedanken im Kopf und mich vor allem in das Schreiben verliebt. Ich mag mein Leben sehr gern, so wie es ist. Auch weil es mir durch meine selbstständigen Mandate als Managementberaterin die Chance lässt, den Manager-Anteil meiner Persönlichkeit auszuleben, der mir weiterhin viel bedeutet. Ich finde es wunderbar, neben den selbstvergessenen Phasen als Autorin Geschwindigkeit aufzunehmen, komplexe Sachverhalte darzustellen und zu lösen, Strategien zu entwickeln und auch Menschen zu führen. Diese Mischung ist gerade perfekt für mich.

 

positionen: Frau Kraus, wir danken Ihnen für das Gespräch.

 

Der Artikel herunterladen

Das gesamte Magazin herunterladen

Sie können ein gedrucktes Exemplar anfordern unter: presse@odgersberndtson.de

 

Katja Kraus
Die gebürtige Offenbacherin lebt in Hamburg. Mit 17 zog Katja Kraus von zu Hause aus und studierte nach dem Abitur Germanistik und Politik in Frankfurt am Main. Bereits mit neun Jahren fing sie an zu kicken und verteidigte das heimische Garagentor gegen die Attacken der Nachbars jungen. Aus der Garagentorfrau wurde eine erfolgreiche Bundesliga- und Nationalspielerin, die mit dem FSV Frankfurt dreimal deutsche Meisterin und viermal Pokalsiegerin wurde sowie mit der Nationalmannschaft 1995 die Europameisterschaft gewann.
Von 1997 an lernte die heute 42-Jährige den Profifußball von der anderen Seite kennen: Sie wurde Presse sprecherin bei Eintracht Frankfurt. Im März 2003 schaffte sie den Sprung in den HSV-Vorstand. 2011 wurde ihr Vertrag nicht verlängert – seitdem ist Katja Kraus als Buchautorin und Managementberaterin selbstständig. Mittlerweile spielt Kraus kein Fußball mehr, sondern hält sich mit Laufen und Radfahren fit.