„Es geht um den Charakter eines Teams“

06 Jul 2013

„Es geht um den Charakter eines Teams“

Das deutsche Sommermärchen, die Fußball-WM in Deutschland 2006, ist der erste Meilenstein in Oliver Bierhoffs Karriere als Manager der deutschen Fußballnationalmannschaft. In der neu geschaffenen Position muss er sich behaupten, das Team zusammenhalten und die Nationalelf als Marke positionieren. Diesen Sommer steht die Europameisterschaft an. Wenige Wochen vor dem Anpfiff hat Bierhoff die logistischen Feinheiten längst erledigt. Jetzt geht es darum, einfach präsent zu sein und in der „heißen Phase“ ausgleichend auf das Team einzuwirken. Ein Gespräch über die richtige Auswahl von Spielerpersönlichkeiten, den zunehmenden Druck der Medien und den Sinn einer guten Berufsausbildung.

Ein Gespräch über die richtige Auswahl von Spielerpersönlichkeiten, den zunehmenden Druck der Medien und den Sinn einer guten Berufsausbildung. 

Mit Oliver Bierhoff sprach Ewald Manz.

 

positionen: Herr Bierhoff, Sie bereiten Ihr Team gerade auf die Europameisterschaft 2012 vor. Als aktiver Spieler haben Sie selbst mehrere Turniere bestritten, 1996 die deutsche Mannschaft sogar zum Europameisterschaftssieg geschossen. Was müssen Sie als Manager jetzt konkret leisten?


Oliver Bierhoff:
Ein Jetzt gibt es in diesem Sinn nicht. Wir bereiten uns wie auf jedes Turnier mit fast zwei Jahren Vorlauf vor, um optimale Bedingungen für die Mannschaft zu schaffen. Es ist unter anderem meine Aufgabe, alles so zu organisieren, dass sich das Trainerteam nur noch auf die sportlichen Belange konzentrieren kann. Die gesamte Infrastruktur rund um ein Turnier muss erdacht, bearbeitet und schließlich umgesetzt werden. Dabei gilt es, strategisch und akribisch zu arbeiten. Die Details sind es, die den Unterschied machen.

 

positionen: Was steht da genau auf Ihrer Liste von Aufgaben?


Oliver Bierhoff:
Das bedeutet unter anderem Kontakte knüpfen, Unterkunft suchen, Trainingsorte festlegen, Trainingslager und Testspiele organisieren. Diese Hausaufgaben haben wir natürlich mit Blick auf Polen und die Ukraine längst erledigt – inklusive Reiseplan, der recht aufwendig war. Wir lassen uns zudem stets etwas einfallen, die Spieler auch außerhalb des Platzes zu fordern und keinen Lagerkoller entstehen zu lassen. Die Treffen mit den Familien müssen abgestimmt werden. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, die Öffentlichkeitsarbeit zu konzipieren und zu realisieren. Die Kommunikation mit den Verbänden und Ausrichtern spielt ebenfalls eine große Rolle. Das Gesamtbild, auf dem Platz und außerhalb des Platzes, ist ein Puzzle aus vielen Teilen.

 

positionen: Ist Ihre Hauptarbeit bei Anpfiff des Turniers bereits getan?


Oliver Bierhoff:
Wenn ein Turnier den normalen Verlauf nimmt, ist der organisatorische Teil geleistet. Dann wird hier und da noch justiert. Aber es kann natürlich auch Unvorhergesehenes passieren. Deshalb heißt es, stets wachsam, vorbereitet, flexibel und einsatzbereit zu sein. Und dann versuche ich, in der heißen Phase des Turniers – wenn der Druck auf Trainer, Spieler und Betreuer zunimmt – ausgleichend einzuwirken, damit keine Brandherde entstehen. Wir erwarten von der Mannschaft Höchstleistungen, da muss das auch vom gesamten Team verlangt werden. Bei der WM in Südafrika lebten wir zehn Wochen lang mit 60 Personen auf engstem Raum – ohne einen einzigen freien Tag. Dies ohne größere Konflikte durchzustehen, bedarf vieler Aufmerksamkeit und Führung.

 

positionen: Zu einem internationalen Turnier gehören immer auch Sponsoren. Wie wählen Sie geeignete Partner für dieses Event und Ihre Mannschaft aus und wie betreuungsbedürftig sind diese Partner?


Oliver Bierhoff:
In Zusammenarbeit mit dem DFB-Marketing wählen wir die Partner aus, die unser Projekt durch ihre individuelle Leistung immer wieder nach vorn bringen. Wir haben Partner, die uns schon viele Jahre unterstützen. Und diese Partnerschaften gehen weit über ein bloß finanzielles Engagement hinaus. Wir können uns aufeinander verlassen. Da ist sehr viel Idealismus dabei, der von den Sponsoren ins Team getragen wird. Natürlich profitieren wir auch materiell. Wir setzen da auf Tradition, Erfahrung und neben den Gefühlen natürlich auf eine professionelle Arbeit. Die ist die Voraussetzung.

positionen: Wie stark müssen Sie um die Gunst der Sponsoren werben?


Oliver Bierhoff:
Die deutsche Fußballnationalmannschaft hat in den vergangenen Jahren enorm an Anziehungskraft gewonnen. Sowohl für Fans als auch für Firmen, die ihren guten Namen von einem außergewöhnlichen Team getragen wissen wollen.

 

positionen: Ähnlich wie ein Unternehmen entwickeln auch Sie Ihr „Produkt“, Ihre Mannschaft, zu einer Marke. Wonach bemisst sich deren Erfolg und Wert?


Oliver Bierhoff:
Neben dem rein sportlichen Erfolg zählen vor allem die Imagewerte. Genauso wichtig ist aber auch, wie viel Geld die Mannschaft für unseren gemeinnützigen Verband einspielt. Denn der Großteil unserer Einnahmen fließt wieder in die Basis des Fußballs. Wir nutzen die komplette Bandbreite – Analysen, Untersuchungen, Umfragen –, um unseren finanziellen und ideellen Wert zu untersuchen und immer wieder zu überprüfen. Wir überlassen dabei nichts dem Zufall. Dabei, das ist immer wieder zu beobachten, geht es nicht nur allein um den sportlichen Erfolg. Der steht natürlich im Vordergrund. Aber nicht auf Kosten anderer wichtiger Aspekte. Es geht um den Charakter eines Teams. Um die Werte, die es verkörpert. Um sein Auftreten. Dies alles ist ein Gesamtpaket, das wir interessierten Geldgebern anbieten – und das ich mitgestalte.

 

positionen: Ist dieses Gesamtpaket unter Ihrer Ägide denn wertvoller geworden?


Oliver Bierhoff:
In den vergangenen Jahren sind die Werbeeinnahmen stetig, teils enorm gestiegen. Dank der sportlich guten Leistungen, aber auch der hohen Imagewerte unserer jungen Mannschaft. Wir sind auf einem guten Weg, die Marke Nationalmannschaft zu etablieren und zu positionieren. Denn eines ist klar: Diese Arbeit muss immer strategisch und darf nie zufällig sein.

 

positionen: Mitte 2004 wurde aus dem Nationalspieler Oliver Bierhoff der erste Manager der deutschen Fußballnationalmannschaft. Wenn Sie zurückblicken, in welchem Bereich war Ihre Lernkurve am steilsten?


Oliver Bierhoff:
Das ist schwer zu sagen. Ich lerne immer noch. Jeden Tag. Und es macht mir einen Riesenspaß. Unter dem Druck der Fußballweltmeisterschaft zu Hause war natürlich die intensive Anfangszeit mit dem damaligen Bundestrainer Jürgen Klinsmann ein Crashkurs für mich als Manager. Ich habe die Chance und das Privileg, mit Top-Leuten aus verschiedenen Branchen und Sparten zusammenarbeiten zu dürfen. Da nimmt man auch viel für sich selbst mit.

positionen: Wie einfühlsam müssen Sie als DFB-Manager sein?


Oliver Bierhoff:
Fußball ist nicht berechenbar wie das Herstellen und Verkaufen von Produkten. Es gilt, Emotionen zuzulassen und mit ihnen zu arbeiten. Es sind so viele verschiedene Charaktere, die die Marke Nationalmannschaft von innen und außen beeinflussen oder beeinflussen wollen. Ich habe BWL studiert und war daher auf die Aufgabe recht gut vorbereitet. Aber die Emotionalität auszublenden und die Realität als Basis klarer Entscheidungen zu akzeptieren, das muss erlebt und erlernt werden. Einen Abstand zu schaffen, das ist sicher nicht immer leicht. Aber wir haben ein gutes Team rund um die Nationalmannschaft. Ein Team, in dem alle einander helfen und jeder seine Position immer wieder kritisch überprüft, schafft so die Grundlagen für die Richtung, in die wir gehen werden.

 

positionen: Neben Ihrer Profilaufbahn haben Sie mit viel Durchhaltevermögen ein BWL-Fernstudium abgeschlossen. Was hilft Ihnen für Ihre heutige Aufgabe mehr – die Erfahrung als Profifußballer oder der Abschluss als Diplom-Kaufmann?


Oliver Bierhoff:
Die Kombination ist es, die den Unterschied macht. Der klassische Betriebswirt macht hervorragende Arbeit, war aber nie in dem System Fußball. Ich kann dies verbinden und das hilft mir natürlich, wenn ich mit den sportlich Verantwortlichen und meinem Verband zusammenarbeite. Ich kann die Erwartungen und Wünsche beider Seiten einordnen, um die Interessen dann zusammenzubringen.

 

positionen: Sollte es künftig das Angebot einer Zusatzausbildung geben, um Ex-Fußballer auf Managementpositionen vorzubereiten?


Oliver Bierhoff:
Vielen Fußballern, die nach ihrer Karriere ins Management wechseln, mangelt es teilweise an den Grundlagen. Und zwar an den theoretischen Grundlagen für Entscheidungen, die sie dann Tag für Tag treffen müssen. Jeder Fußballer, auch wenn er noch so erfolgreich war, muss einen Trainerschein erwerben, falls er Trainer werden will. Für die Aufgabe im Management gibt es da nichts Vergleichbares. Auch daran müssen wir arbeiten. Das Zusammenspiel zwischen Management und sportlicher Leitung wird immer wichtiger.

 

positionen: Sie haben einmal gesagt: „Fußball ist nicht alles.“ Heutzutage sind Profikarrieren aufgrund des gestiegenen Leistungsdrucks meist schneller zu Ende als früher. Würden Sie talentierten Jungfußballern daher raten, nebenher eine berufliche Ausbildung zu machen? Wenn ja, wie könnte der DFB die Spieler dabei unterstützen?


Oliver Bierhoff:
Auf jeden Fall. Vorzusorgen für den Fall der Fälle ist Pflicht. Und jeder Klub hat die Verantwortung, dies seinen Spielern auch zu verdeutlichen. Mit dieser Sicherheit im Rücken lässt sich eine Karriere ganz anders planen und angehen. Es geht nicht um den schnellen Euro. Es geht um eine strategische Entwicklung einer Laufbahn und vor allem einer Persönlichkeit. Auch als geistige Vorbereitung auf die Zeit nach der Fußballkarriere. Da sind natürlich alle gefragt: die Klubs, der Verband, aber auch die Familien und die Berater, die allzu oft leider nur auf den Kontostand des Klienten und ihren eigenen schauen. Mit dem geplanten Leistungszentrum haben wir aber eine außerordentlich gute Möglichkeit, Basisarbeit zu betreiben und dieser wünschenswerten Entwicklung Raum zu geben und sie anzuschieben.

positionen: Zusammen mit dem Bundestrainer Joachim Löw bilden Sie eine Doppelspitze. Als Manager halten Sie dem Trainer vor allem den Rücken frei. Der wiederum hat das letzte Wort bei sportlichen Themen. Was sind die Erfolgsfaktoren Ihres Führungsduos?


Oliver Bierhoff:
Es sind noch mehr, vergessen Sie nicht den Assistenztrainer Hansi Flick und den Torwarttrainer Andreas Köpke. Zudem sind so viele Menschen damit beschäftigt, Tag und Nacht für das Nationalteam da zu sein. Da spielt der Verband eine außergewöhnliche Rolle. Es sind der Teamgeist, das Zusammenspiel, das Vertrauen, die Zuverlässigkeit und die Nüchternheit, die Dinge professionell anzugehen, auch wenn die Emotion etwas anderes sagen mag. Wir vier von der sportlichen Leitung arbeiten als Team mit Spaß, Freude, gegenseitigem Respekt und Vertrauen schon lange optimal zusammen.

 

positionen: Wie oft hören Sie auf das, was Ihnen Ihr Bauch sagt?


Oliver Bierhoff:
Der Raum für Bauchentscheidungen im Fußball ist nur noch sehr limitiert. Es muss sie immer geben. Aber die Infrastruktur, in der dann solche Gefühle Platz finden, die muss strategisch, professionell und manchmal auch sehr emotionslos gebaut und immer weiter entwickelt werden. Es ist wie auf dem Platz: Stillstand befördert Misserfolg.

 

positionen: Für die deutsche Nationalmannschaft rekrutieren und entwickeln Sie regelmäßig Spitzenspieler. Wie formen Sie aus einer Gruppe von Stars ein Team? Wie viel eigene Persönlichkeit darf oder muss der einzelne Teamplayer leben?


Oliver Bierhoff:
Ein Spieler ohne Persönlichkeit ist keiner, der in unser Konzept passen würde. Wir fordern und fördern die eigene Persönlichkeit, den Charakter. Diese eigene Persönlichkeit muss er für die Mannschaft einbringen und sich dabei auch unter- und einordnen können. Wir machen Angebote außerhalb des Fußballs, in fast allen Bereichen des Lebens. Wir wollen Spieler mit eigener Meinung und der Sensibilität dafür, wann und wie man diese kommuniziert. Nur wer im Leben Entscheidungen treffen kann, weiß dies auch auf dem Platz umzusetzen. Wir wollen Spieler, die in ihrer individuellen Rolle Führungskräfte sind. Es ist ein Team voller Spitzenkräfte. Und dennoch gibt es keinen Neid und keine Eitelkeiten.

 

positionen: Was hält diese Gruppe selbstbewusster Entscheider zusammen?


Oliver Bierhoff:
Das Team ist fokussiert auf den Erfolg. Auf die Entwicklung, die zu diesem Erfolg führt. Immer wieder. Es gibt keine Zufriedenheit, die satt macht, sondern allenfalls eine, die antreibt. Die Klubs leisten außergewöhnliche Arbeit in der Ausbildung der Spieler. Bei uns finden sie zudem eine Gemeinschaft, bei der sie sich durch entsprechende Arbeit auf einer Weltbühne präsentieren können. Auch das motiviert. Das Trainerteam hat die Sensibilität, den Blick und die Professionalität, jeden Einzelnen zu bewerten, zu fördern und gemäß seiner Fähigkeiten einzusetzen. Immer mit dem Blick darauf: Was ist gut für das Team?

 

positionen: Wie stark kümmern Sie und der Bundestrainer sich um die persönliche Verfassung eines Spielers? Hat der Selbstmord des Torwarts Robert Enke bewirkt, dass mit den Nationalspielern anders umgegangen wird?


Oliver Bierhoff:
Das ist ein sehr weites Feld und ein zu tief greifendes, ernstes Thema, um es hier in wenigen Worten beschreiben zu können. Wir haben Strukturen aufgebaut, die ein Netz sind für die Spieler. Eines, in das sie sich bei Bedarf fallen lassen können. Das alles hatte ja Vorbildcharakter. Damals wurde über die geistig-seelische Betreuung der Nationalspieler noch gelächelt. Jetzt gehört ein Psychologe mittlerweile zu jedem Team eines Profiklubs. Das ist wichtig. Aber es wird immer wieder Menschen geben, denen nicht geholfen werden kann oder bei denen man die Probleme nicht erkennt. Wir maßen uns nicht an, Familie oder Freunde ersetzen zu können. Und es geht hier nicht nur um Depressionen. Die Seele des Menschen ist im wahrsten Wortsinn unfassbar. Sie können Angebote machen, helfen, aber Sie können nicht den Menschen erfassen, so wie er ist. Leider muss man da immer wieder seine Grenzen erkennen.

 

positionen: Nicht nur Sie, sondern auch Ihre Spieler stehen durch das hohe Medieninteresse praktisch ständig in der Öffentlichkeit und unter extrem hohem Leistungsdruck. Wie gehen gerade junge Menschen damit um, wie werden sie von Ihnen auf diese Situation vorbereitet?


Oliver Bierhoff:
Auch das ist eine Aufgabe – ähnlich wie die der Ausbildung jenseits der Fußballkarriere – die in den vergangenen Jahren leider trotz der hohen Medienpräsenz nicht genug gefördert wurde. Professionelle Kommunikation, nach innen wie nach außen, ist eine der Grundlagen für eine erfolgreiche Karriere. Ausnahmen mögen da die Regel bestätigen. Doch die heutige Medienvielfalt ist es, die eine Herausforderung darstellt. Eine enorme. Heute taugt alles zur Nachricht. Und in ihr wird nach der Emotion gesucht und in der Emotion dann nach einer neuen Nachricht. Auf so etwas müssen die Spieler vorbereitet werden und es bedarf professioneller Hilfe, da durchzukommen. Auch hier gilt: Es kann nicht alles geplant werden. Trotz Beratung kann es keine Garantie für positive Schlagzeilen geben. Es werden immer auch negative zu lesen sein. Doch man kann sich auf dies alles vorbereiten und so die Fallhöhe minimieren.

 

positionen: Auf welche Fähigkeiten – auch abseits des Balls – achten Sie bei der Auswahl Ihrer Spieler?


Oliver Bierhoff:
Das pauschal zu sagen würde bedeuten, dem jeweiligen Menschen nicht gerecht zu werden. Es sind viele verschiedene Facetten, die eine Rolle spielen. Jeder bringt seine Stärke ein und gibt auch mit seinen vermeintlichen Schwächen dem Gebilde eine Form. Eines aber ist klar: Jeder, der zu uns kommt, muss teamfähig sein, sich einordnen können und seine eigenen Entscheidungen treffen sowie vertreten können.

 

positionen: Welche Führungstechniken und Kompetenzen lassen sich vom Profifußball auf die moderne Wirtschaft übertragen?


Oliver Bierhoff:
Ich bin mir nicht sicher, ob dies heute noch spezifisch benannt werden kann. Fußball ist zu einem globalen Wirtschaftsraum geworden, in dem viele kleine und große Unternehmen interagieren. Die Strukturen sind doch schon sehr ähnlich. Der Sport ist ein Mikrokosmos. Und so hat man seit Jahren voneinander gelernt.

 

positionen: Was ist der größte Unterschied?


Oliver Bierhoff:
Die Wirtschaft ist natürlich berechenbarer. Es sind Planzahlen aufzustellen, Rechnungen können aufgemacht, Prognosen abgegeben werden. Flexibilität, Zufall, Emotionalität spielen in der Wirtschaft eine weitaus geringere Rolle. Das ist vor allem bei den börsennotierten Konzernen so. Und das muss auch so sein. Nuancen können sich beide – Profifußball und Wirtschaft – voneinander abschauen, im Großen und Ganzen aber sind die Strukturen schon sehr ähnlich geworden. Letztlich handelt es sich bei der Führung immer um die von Menschen. Und glauben Sie mir, Fußballer sind auch nur Menschen.

 

positionen: Zusammen mit Klinsmann und später mit Joachim Löw haben Sie es geschafft, deutschen Fußball wieder spannend zu machen – vor allem durch eine Verjüngung der Mannschaft und durch eine gezielte Nachwuchsförderung. Wenn Sie durch diese Brille auf die deutsche Unternehmenswelt schauen, was sehen Sie da – Personalpolitik à la Klinsmann oder erheblichen Nachholbedarf?


Oliver Bierhoff:
Ich maße mir nicht an, die Wirtschaftswelt en détail beleuchten und bewerten zu können. Aber ich denke, in den vergangenen Jahren hat sich in Sachen Mitarbeiterführung, Aus- und Weiterbildung sowie Integration ebenso viel getan wie in den Vorständen selbst. An deren Spitze stehen oft junge, charismatische Lenker. Dass die Anforderungen immer höher werden, ist in der Wirtschaft so wie im Sport. Man mag dies beklagen, aber um im Wettbewerb mithalten zu können, ist dies ohne Alternative.

 

positionen: Herr Bierhoff, Sie sind 44 Jahre alt, haben eine erfolgreiche Profikarriere hinter sich und sind seit acht Jahren Manager der deutschen Fußballnationalmannschaft. Was könnte Sie nach der EM im Sommer noch reizen?


Oliver Bierhoff
: Mich reizt es, immer wieder nach dem Optimalen zu streben. Es geht immer besser, es gibt immer noch Schrauben und Schräubchen im System, die angezogen werden können. Es müssen Teile ausgetauscht, Strategien überdacht und justiert werden. An die Spitze zu kommen ist das eine, sich dort zu halten das andere. Insofern freue ich mich auf die WM 2014 in Brasilien, auf die Zusammenarbeit mit einem außergewöhnlichen Team und beeindruckenden Menschen. Was danach kommen kann, überlege ich, wenn es so weit ist. Ich finde es aber immer wieder spannend, neue Felder für mich auszumachen und zu beackern. Und sich selbst immer wieder infrage zu stellen. Insofern ist es mir bisher auch nie langweilig geworden.

 

positionen: Herr Bierhoff, wir danken Ihnen für das Gespräch.

 

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Seit Mitte 2004 ist Oliver Bierhoff als Manager für die wirtschaftlichen Erfolge der deutschen Fußballnationalmannschaft verantwortlich. Als Sohn eines RWE-Vorstands lernte der heute 44-Jährige schon früh, wie die Wirtschaft tickt. Es war Karl-Heinz Rummenigge, der heutige Vorstandschef des FC Bayern München, der den Ex-Nationalspieler als Kandidaten für die neu geschaffene Position des Managers der deutschen Fußballnationalmannschaft ins Spiel brachte. „Wir haben das ideale Modell gefunden, vielleicht nicht den idealen Manager“, sagt Bierhoff mit einem verschmitzten Lächeln auf der DFB-Webseite. Als der gebürtige Karlsruher seinen Eltern eröffnete, Profifußballer werden zu wollen, stellten diese nur eine Bedingung: Ihr Sohn müsse sein Abitur machen. „Als ich dann studiert habe, waren sie endgültig beruhigt“, so Bierhoff in einem Interview. In der Saison 1986/87 startete er seine Bundesligakarriere bei Bayer Uerdingen. Das WM-Finale 2002 war sein letztes Länderspiel – nach 70 Einsätzen im Nationaltrikot und 37 Toren.