Geteilte Führungsverantwortung ist ein Trend, der nicht nur der Komplexität unserer vernetzten Welt Rechnung trägt und dem Fachkräftemangel begegnet, sondern auch der sozialen Natur von uns Menschen zupasskommt.
Der Mensch, das soziale Wesen. Diesen Ausspruch prägte der Wiener Sozialpsychologe Alfred Adler vor rund 150 Jahren. Der zentrale Begriff seiner Individualpsychologie: Gemeinschaftsgefühl. Wir Menschen brauchen das Miteinander, den Austausch, Rückkopplung und Bestätigung – außer in der Wirtschaft. Denn in den standardökonomischen Modellen entscheidet der Mensch vermeintlich immer für sich allein. Sein Ziel: den eigenen Nutzen maximieren.
Dass solche Standardmodelle zu kurz greifen, haben verhaltensökonomische Experimente wie das Ultimatumspiel aus den 1980ern längst bewiesen, bei dem eine Person einen Geldbetrag nach Belieben aufteilen darf, während die zweite Person diesem Deal entweder zustimmen – dann bekommen beide den jeweiligen Geldbetrag, den Person 1 bestimmt hat – oder ablehnen kann. Wird abgelehnt, bekommt keiner der beiden das Geld. Wäre der Mensch wirklich ausschließlich auf die eigene Nutzenmaximierung fokussiert, müsste das Spiel immer aufgehen, egal wie klein der Betrag ist, den Person 1 Person 2 anbietet. Tatsächlich werden in den seit Jahren stattfindenden, zigfachen Wiederholungen dieses Experiments Person 2 aber nur selten Beträge unter zehn Prozent angeboten, Beträge unter 20 Prozent dafür von Person 2 sehr häufig abgelehnt. Wirklich maximiert wird der Nutzen demnach, wenn gerecht geteilt wird, wie die drei Wissenschaftler Marianna Blanco, Dirk Engelmann und Hans Theo Normann in ihrer Studie „A within-subject analysis of other-regarding prefrences“ 2011 zeigen konnten. Und das liegt schlicht und ergreifend daran, dass Person 2 selbst Angebote knapp unter 50 Prozent häufiger ablehnt, beide mit 50-50 also immer den besseren Schnitt machen.
Sharing is caring
Fairness ist demnach etwas, das Menschen wichtig ist und wofür sie sich einsetzen – auch, wenn es sie selbst etwas kostet. Denn letztendlich führt eine faire Aufteilung dazu – egal ob im Hinblick auf eine Geldsumme oder beispielsweise die Arbeitsbelastung –, dass es allen Beteiligten besser geht. Das gilt in unserer immer komplexer werdenden Welt vielleicht sogar mehr denn je. Denn letztendlich hat es nicht nur Vorteile, positive Dinge wie Geld gerecht zu teilen, sondern auch die Bürde der Verantwortung. Und die ist gerade für Führungskräfte heute vielleicht höher denn je. Es müssen aktuell dermaßen viele Entscheidungen für die Zukunft getroffen werden, für die es noch keine Präzedenz gibt. Bestes Beispiel ist die strategische Neuausrichtung der Automobilindustrie auf Elektromobilität, von der heute angenommen wird, dass es der Antrieb der Zukunft ist. Ob dem wirklich so ist und die Erwartungen an E-Autos künftig erfüllt werden, können wir heute schlicht nicht beantworten. Das entbindet die Führungsetagen der deutschen Automobilindustrie jedoch nicht davon, diese schwere Entscheidung jetzt hier und heute zu treffen – auch auf die Gefahr hin, in einer Sackgasse zu landen.
Kurz: Der Druck, der mit der Verantwortung einer Führungsposition einhergeht, wird immer größer – zum Teil zu groß, um ihm alleine standhalten zu können. Genau deshalb finden sich in Industrie und Wirtschaft auch immer öfter Führungsteams zusammen, die sich die Verantwortung teilen, idealerweise sogar verschiedene Fähigkeiten und Perspektiven mit an den Tisch bringen, um der Komplexität Herr zu werden, neue Wege und gemeinsame Lösungen für die Zukunft zu finden.
Gegensätze ziehen sich an
Co-Leadership entwickelt sich aber auch noch aus einem anderen Grund zu einem Führungsstil mit Zukunft. Schuld ist der Fachkräftemangel, der gerade auch bei gut ausgebildeten Führungskräften immer deutlicher zu spüren ist. In einer Generation, in der die 60-Stunden-Woche auch bei hohem Gehaltsausgleich zunehmend an Attraktivität verliert, wird es wichtiger, nach Alternativen zu suchen. Mit einem durchdachten Co-Leadership kann es gelingen, auch junge Talente für Führungsaufgaben zu gewinnen und vor allem auch Frauen gar nicht erst zwischen Familie und Karriere entscheiden zu lassen, sondern ihnen beides zu ermöglichen.
Gerade wenn solche CO-Leadership-Teams divers aufgestellt sind, ergeben sich oftmals auch ganz neue Chancen für Unternehmen. Das Problem des Confirmation-Bias innerhalb sehr homogener Teams dürfte hinreichend bekannt sein. Treffen in der Unternehmensführung jedoch unterschiedliche Geschlechter, kulturelle Hintergründe oder Generationen aufeinander, ist ein konstruktiver Dialog ein Muss, um zu einem Konsens zu gelangen – eben Reibung, die in einer klassisch hierarchisch aufgebauten Organisationsstruktur mit dem obersten Chef in der Regel vermieden wird.
sagt Charlotte von der Planitz, Associate Partnerin bei Odgers Berndtson Germany. "Co-Leadership bringt somit nicht nur innerhalb der Organisation, sondern auch für die Gesellschaft als Ganzes einen nachhaltigen Mehrwert“, fügt sie hinzu.
Sind zwei Chefs besser als einer?
erklärt Dr. Franziska Dietz, Partnerin bei Odgers Berndtson Germany. Und die Aufgaben müssen klar verteilt sein, damit die Belegschaft nicht den einen gegen den anderen ausspielt, wie es Kinder mit Eltern gerne machen. Wenn Mama nein sagt, frage ich Papa oder umgekehrt. Ebenso muss die Basis innerhalb der Co-Leader stimmen. Über Details kann und darf gestritten werden, über die grobe Marschrichtung, Ziele und Visionen sollte jedoch absolute Einigkeit herrschen.
Wie wichtig eine engere Zusammenarbeit auf Führungsebene schon heute ist, unterstreicht unser aktuelles Manager Barometer 2023-2024. Hier haben wir durch acht Teilaspekte unter anderem die „Futures Literacy“ abgefragt – also jene Fähigkeiten, die dabei helfen, den „Zukunftsanteil“ im aktuellen Handeln besser zu verstehen. Einer dieser Teilaspekte lautet: „Forster Collaboration“ – Zusammenarbeit fördern. Konkret geht es darum, das eigene Zukunftsverständnis durch Austausch und Zusammenarbeit verschiedener individueller Stärken und Sichtwiesen zu erweitern. Und schon heute liegt die Zusammenarbeit auf Platz drei der Kategorien, die das Führungshandeln der Befragten bestimmen. Platz eins belegt die Kategorie, sich der Ungewissheit und Komplexität zu stellen, gefolgt von einem proaktiven Handeln.
Kein Superheld ist wirklich allein
Dass Kollaboration das Führungsverhalten schon heute so deutlich bestimmt – und in Zukunft vermutlich noch deutlicher bestimmen wird – liegt wie gesagt daran, dass wir aktuell an einem entscheidenden Wendepunkt stehen und die Marschrichtung nur mit einem breiten Wissen und unterschiedlichen Perspektiven einigermaßen gewissenhaft bestimmt werden kann. Hierzu lässt sich ein Vergleich zur Superhelden-Literatur der vergangenen Jahre sehr gut heranziehen. Denn auch das Management vieler Unternehmen steht aktuell vor Herausforderungen in einer Größenordnung, für die Hollywood ganz sicher einen Superhelden für die Hauptrolle besetzen würde. Und eben diese Superhelden agieren nie allein. Sie mögen im Mittelpunkt stehen wie beispielsweise Batman, der wahlweise ohne Robin oder seinen Butler Alfred aber nur halb so viele Situationen im Vorfeld richtig antizipieren und entsprechend lösen würde. Und genauso sollte man Co-Leadership heute betrachten: Als einen Job, für den es mindestens einen Superhelden braucht, der ohne einen starken Partner – ob nun ebenso sichtbar oder im Hintergrund – auch nur ein ganz normaler Mensch wäre. Die Herausforderungen unserer modernen Welt brauchen das dynamische Duo, weshalb Unternehmen klug beraten sind, bei der Besetzung von Führungspositionen in Paaren zu denken.