Die Chemie zwischen Dirigent und Orchester muss stimmen

08 Jul 2013

Die Chemie zwischen Dirigent und Orchester muss stimmen

Ein "Kumpel-Maestro" will er nicht sein. Christian Thielemann, einer der gefragtesten Dirigenten der Welt, der seit 2012 an der Spitze der Sächsischen Staatskapelle Dresden steht. Der gebürtige Berliner will seine Musiker führen. Ihnen sagen, wie etwas gemacht wird. Er weiß aber, dass das nur geht, wenn die Chemie zwischen Orchester und Dirigent stimmt. Das hat der heute 54jährige bereits in jungen Jahren gelernt, als er Assistent von Herbert von Karajan in Berlin und bei den Osterfestspielen in Salzburg war. Für Thielemann ist die Personalauswahl im Orchester ein Erfolgsmodell, von dem sich Unternehmen einiges abschauen können. Ein Gespräch über das sommerliche Vergnügen im Bayreuther Orchestergraben, die Rolle eines Dirigenten und die Freude daran, seine Kritiker zu überraschen.

Mit Christian Thielemann sprach Peter Herrendorf.

 

positionen: Herr Thielemann, seit September letzten Jahres sind Sie Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle Dresden. 2013 feiern Sie eine ganz besondere Premiere: Nach 45 Jahren Berliner Philharmoniker wird erstmals Ihr Orchester bei den Osterfestspielen in Salzburg spielen. Dort werden Sie – im Jahr des 200. Geburtstages von Richard Wagner – den Parsifal dirigieren. Wie bereiten Sie sich und Ihre Musiker auf diesen großen Moment vor?


Christian Thielemann:
Ach, wissen Sie, grundsätzlich nicht anders als auf andere Konzerte. Warum auch? Jedes Konzert verlangt eine ernsthafte Vorbereitung. Alles andere wäre unlauter. Nichtsdestotrotz sind die künstlerischen Anforderungen der Osterfestspiele natürlich enorm. Sie müssen mit dem Orchester innerhalb von vier Tagen eine Oper und drei Konzertprogramme präsentieren. In unserem Falle, und dies ist eine Neuerung bei den Osterfestspielen, gibt es am fünften Tag sogar noch ein weiteres Programm: das „Konzert für Salzburg“, mit dem wir uns für das Salzburger Publikum öffnen wollen, bei deutlich gemäßigten Eintrittspreisen. Bereits ab dem Tag darauf wird der Zyklus der ersten vier Tage wiederholt.

 

positionen: Das hört sich ja nach einem Marathon an …


Christian Thielemann:
Ein Marathon mit einer außergewöhnlich großen Aufführungsdichte. Ein Orchester wie die Sächsische Staatskapelle ist daran aber seit jeher gewöhnt. Insofern bin ich voller Zuversicht, dass wir unsere gemeinsame Premiere bei den Osterfestspielen in Salzburg erfolgreich bestreiten werden.

 

positionen: Müssen Sie Ihre 150 Musiker – ein äußerst heterogenes Team von Individualisten unterschiedlichen Alters und kultureller Herkunft – mehr als sonst für diese Konzerte motivieren?


Christian Thielemann:
Wir alle haben das Glück, dass wir unsere Leidenschaft zu unserem Beruf machen durften. Sicherlich ist dies immer wieder auch ein sehr anstrengender und steiniger Weg, letztendlich aber auch ein großes Privileg. Insofern muss ich mein Orchester für diese Aufgabe nicht motivieren. Jeder Einzelne weiß um die Bedeutung der Osterfestspiele und bereitet sich dementsprechend akribisch vor.

 

positionen: „Ein Orchester ist ein Organismus, der lebt.“ Dieses Zitat stammt von Ihnen. Welche Funktion oder Rolle übernehmen Sie als Dirigent in diesem Organismus? Und wie lebenswichtig ist diese Funktion für das Orchester?


Christian Thielemann:
Grundsätzlich gilt: Ein Dirigent ist immer Teil des Ganzen. Er kann nicht ohne Orchester und ein großes Symphonieorchester auch nicht ohne Dirigenten. Wenn Sie vor einem Orchester wie der Staatskapelle stehen, können Sie davon ausgehen, dass das Orchester Ihnen eine Menge anbietet. Die Musiker haben ja einen Großteil des Repertoires mehrfach gespielt und von jedem einzelnen Werk eine konkrete Idee, wie es klingen soll. Und da kommt es nicht selten vor, dass eine bestimmte Phrase, ein bestimmter Einsatz ganz anders klingt, als ich mir dies ursprünglich vorgestellt hatte.


positionen: Und das lassen Sie dann durchgehen?

 

Christian Thielemann: Wenn es mir gefällt, lasse ich mich gern überzeugen. Grundsätzlich hat aber der Dirigent die Verantwortung für das Gesamte und muss in der Lage sein, das Orchester von seiner Sicht auch zu überzeugen.


positionen: Kommunikation funktioniert im Orchester ja vor allem nonverbal. Jeder erlebt Musik auf seine Art, die Musiker müssen ihren eigenen Zugang zu den Noten finden. Deswegen, so sagen Sie, reden Sie bei den Proben nicht viel. Wie schaffen Sie es, dass sich die Musiker trotz unterschiedlicher Auffassungen Ihrer Art von Interpretation unterordnen?


Christian Thielemann:
Es mag da vielleicht den ein oder anderen psychologischen Trick geben, den man sich im Laufe der Zeit aneignet. Letztendlich aber entscheidet die Chemie: Stimmt die zwischen Dirigent und Orchester, kann ich das Orchester auch von meinen Vorstellungen überzeugen. Stimmt sie nicht, wird es schwierig …

 

positionen: Sie sind langjähriger Dirigent und Berater der Bayreuther Festspiele. Dort treffen Sie regelmäßig auf Musiker, die Ihre Begeisterung für Richard Wagner teilen und die Literatur gut kennen. Ist es leichter, ein solches Orchester zu überzeugen, eine Oper in Ihrem Sinne zu interpretieren?


Christian Thielemann:
Die Atmosphäre in Bayreuth ist schon eine ganz besondere. Sie müssen sich vorstellen, dass die Musiker des Festspielorchesters aus freien Stücken auf ihren Sommerurlaub verzichten, um in Bayreuth zu musizieren. Und die Bedingungen dort sind alles andere als komfortabel. Fünf Stunden im Graben Wagner zu spielen bei gefühlten 50 Grad, was in Bayreuth im Hochsommer keine Seltenheit ist. Danach wissen Sie, was Sie getan haben. Aber es herrscht in Bayreuth ein geradezu familiärer Geist, der die Strapazen schnell vergessen lässt. Am Ende fühlt man sich fast wie im Urlaub. Dort mit dem Orchester zu arbeiten, ist immer ein Vergnügen, zumal man sich ja schon aus vielen Jahren gemeinsamer Arbeit bestens kennt.

 

positionen: Sie haben einmal gesagt, dass für das Publikum immer die Balance stimmen muss: intellektuell von einem Musikstück gefordert zu sein, sich aber gleichzeitig wohlzufühlen. Überwiegt der Wohlfühlfaktor, wird es langweilig. Ist das Programm zu abgehoben, bleiben die Zuschauer aus. Wie stark bestimmen kommerzielle Überlegungen die Auswahl Ihrer Musikstücke?


Christian Thielemann:
Ich suche mir mein Repertoire letztendlich danach aus, ob mir die Stücke gefallen oder nicht. Da spielen Publikumszahlen zunächst mal keine Rolle. Natürlich bin ich mir bewusst, dass es Werke gibt, die populärer sind als andere, und dass es auch keinen Sinn ergibt, ein Publikum zu überfordern oder gar belehren zu wollen. Erfolgreich kann ich aber nur sein, wenn ich von dem, was ich tue, künstlerisch überzeugt bin. Dafür hat das Publikum auch ein Gespür. Etwas bloß zu dirigieren in der Hoffnung auf großen Zuspruch, wäre fauler Zauber und auf Dauer ganz sicher kontraproduktiv.

 

positionen: Ihre berufliche Karriere ging bislang stetig nach oben. Ist das Zufall oder hat das Methode?


Christian Thielemann:
Darüber habe ich mir ehrlich gesagt nie Gedanken gemacht. Meine Laufbahn begann mit der klassischen „Ochsentour“ an städtischen Theatern. Daraus hat sich alles Weitere auf natürliche Weise ergeben. Mit dem bisher Erreichten bin ich zugegebenermaßen nicht unzufrieden. Einen konkreten Karriereplan, welche Position ich zu einem bestimmten Zeitpunkt wollte, hat es aber nie gegeben.

 

positionen: Ähnlich wie in der Wirtschaft gibt es auch in der Musikwelt den Kampf um Talente. In Ihrer Zeit als Generalmusikdirektor der Deutschen Oper in Berlin mussten Sie selbst erfahren, wie Ihnen auf einen Schlag talentierte Musiker abgewandert sind. Damals haben Sie für mehr Geld gekämpft. Für Dresden haben Sie sich vertraglich gegen Sparmaßnahmen abgesichert. Werden die Finanzen künftig mehr als zuvor die Qualität eines Orchesters bestimmen?


Christian Thielemann:
Das vermag ich nicht zu beurteilen. Sicherlich muss die Politik aufpassen, dass sie die Kultur nicht kaputt spart. Mit Kürzungen bei der Kultur ist noch kein Haushalt gerettet worden. Qualität hat natürlich auf der anderen Seite auch nicht nur etwas mit finanzieller Ausstattung zu tun. Klar ist aber, dass Sie ein bestimmtes Niveau nicht für immer werden halten können, wenn Ihnen die Gelder ständig gekürzt werden.

 

positionen: Eine bessere Bezahlung dürfte für viele talentierte Musiker nicht das einzige Entscheidungskriterium sein. Was muss ein Orchester – und damit der Chefdirigent oder der Generalmusikdirektor – noch bieten, damit er Musiker der Top-Liga anwerben kann?


Christian Thielemann:
Hier kommt vieles zusammen. Zunächst dürfte das künstlerische Profil eines ausschlaggebend sein. Welche Dirigenten und Solisten arbeiten m Orchestersit dem Orchester zusammen, welches Repertoire wird gepflegt? Auch das Tourneegeschäft dürfte von Bedeutung sein, sprich: Tritt das Orchester auch regelmäßig im europäischen Ausland und auf den wichtigen Podien in den USA und Fernost auf? Dinge wie geografische Lage, gute Verkehrsanbindung, Infrastruktur und Wohnungsangebot spielen letzt lich ebenfalls eine Rolle. Das Geld allein sollte somit nicht der ausschlaggebende Faktor sein.

 

positionen: „Schlechtes Benehmen und mangelnde Qualität sind für mich Zeitverschwendung.“ Damit haben Sie schon einmal zwei klare Kriterien für die Personalauswahl definiert. Wonach und wie wählen Sie Musiker für Ihr Orchester aus?


Christian Thielemann:
Grundsätzlich wählen die Orchestermusiker ihre Kollegen zunächst einmal selbst aus, in sogenannten Probenspielen, in denen einzelne Stimmgruppen, gelegentlich auch alle Musiker des Orchesters anwesend sind und über die Kandidaten befinden. Ich kann aber auch mitsteuern.

 

positionen: Große Orchester laufen Gefahr, ihren Klang zu „globalisieren“. Wie sehr können Sie als musikalisch-künstlerischer Chef den Markenwert eines Orchesters schützen? Welche Rolle spielt dabei die Personalauswahl?


Christian Thielemann:
Die Musiker der Sächsischen Staatskapelle sind sehr kritisch und auch sehr vorsichtig bei der Einstellung von neuen Kollegen. Sie wissen genau, welchem Klangideal sie sich verschrieben haben und nehmen infolgedessen nur solche Musiker bei sich auf, die in der Lage sind, sich diesem Klangbild anzupassen oder diesem bereits entsprechen. Es ist nicht leicht, immer die richtigen Kollegen zu finden. Manche Positionen bleiben jahrelang unbesetzt.

 

positionen: Oft wird das Zusammenspiel zwischen Dirigent und Orchester in Managementseminaren als Beispiel angeführt, wie man Mitarbeiter für eine Sache begeistern kann. Was können Ihrer Meinung nach Unternehmen von Orchestern lernen?


Christian Thielemann:
Wie soll ich das beantworten? Ich war ja niemals Unternehmer und die Wahrscheinlichkeit, dass ich dies noch werde, ist ja relativ gering … Orchester sind Organismen, bei denen jeder Einzelne Verantwortung für das Ganze übernehmen muss. Das wünscht man sich in einem Unternehmen sicherlich auch. Und noch etwas könnte für Unternehmer interessant sein. Wie schon vorhin erwähnt: Orchester suchen sich ihre Mitglieder selbst aus. Dies funktioniert nur, wenn ein hohes Bewusstsein für den eigenen Qualitätsanspruch besteht und ein ebenso hohes Maß an Identifikation mit dem eigenen Betrieb, also dem eigenen Orchester. Dieses Modell ist durchaus erfolgreich. Vielleicht sollten darüber auch mal Personalverantwortliche in der freien Wirtschaft nachdenken.

 

positionen: Herr Thielemann, Musik ist für Sie Berufung. Musik als Beruf kann Ihrer Meinung nach aber lebensgefährlich werden, wenn man nicht immer wieder die Entspannung sucht. Haben Sie genug Zeit, um nach dem Kraftakt bei den Salzburger Osterfestspielen Ihren „Akku wieder aufzuladen“?


Christian Thielemann:
Nun, viel Zeit bleibt da nicht. Am 1. April beschließen wir die Osterfestspiele mit der zweiten Aufführung von Wagners Parsifal, bereits drei Tage später beginnen die Proben für das nächste Symphoniekonzert in Dresden. Unmittelbar danach brechen wir auf zu einer USA-Tournee mit Konzerten in Chicago, Washington und der New Yorker Carnegie Hall.

 

positionen: Welche musikalischen Ziele würden Sie in Zukunft gern verwirklichen? Gibt es eine Oper oder einen Komponisten, dem Sie in der nächsten Zeit mehr Beachtung schenken wollen?


Christian Thielemann:
Ich bin in Dresden gerade dabei, Ausflüge in ein Repertoire zu machen, das man nicht automatisch mit mir verbindet. So habe ich bei der Staatskapelle auch Bach, Liszt, Reger, Busoni und Henze dirigiert und meine erste Neuproduktion im Graben der Semperoper ist kein Wagner oder Strauss, sondern „Manon Lescaut“ von Puccini.

 

positionen: Ihr Publikum – und auch Ihre Musiker – lernen jetzt also einen „anderen“ Thielemann kennen?


Christian Thielemann:
In den letzten Jahren bin ich ja häufig auf ein bestimmtes Repertoire fest gelegt worden, sicherlich auch, weil mir dieses nun einmal besonders liegt. Das heißt aber nicht, dass ich mich für nichts anderes interessiere. Und so werde ich in den kommenden Jahren immer wieder Werke dirigieren, mit denen ich den einen oder anderen sicherlich überraschen werde, auf die ich mich aber schon jetzt ungemein freue.

 

positionen: Herr Thielemann, wir danken Ihnen für das Gespräch. 

 

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Christian Thielemann
Als er 1988 als jüngster Generalmusikdirektor Deutschlands nach Nürnberg wechselte, hatte Christian Thielemann bereits die klassische „Ochsentour“ an städtischen Theatern hinter sich. Direkt nach dem Abitur ging er als Korrepetitor an die Deutsche Oper Berlin. Dorthin kam er 1997 zurück – dieses Mal als Generalmusikdirektor. Von 2004 bis 2011 dirigierte er die Münchner Philharmoniker. Anschließend wechselte er nach Dresden als Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle.
Viele sehen in Thielemann „den“ Wagner-Dirigenten der Gegenwart. Als er 13 war, hörte er zum ersten Mal Wagner, wie er in einem Interview erzählte. „Bei Tristan hat mich der Schlag getroffen. Da wusste ich, diese Intensität will ich auch.“ Thielemann will seinem Publikum mit der Musik zeigen, „dass wir in einer Oper Grenzen überschreiten können, die zu überschreiten im Leben unmöglich wäre“.