Dass die Employee Value Proposition wichtig für das Recruiting ist, ist bekannt. Was neu ist: Immer mehr Führungskräfte und CEO engagieren sich persönlich – weil Talentmanagement ein strategisches Ziel ist, das sich lohnt.
Manche Buzzwords sind schwerer zu greifen und EVP, die Employee Value Proposition, ist eines davon. Übersetzen ließe es sich vermutlich am besten mit dem „Werteversprechen“ an die Belegschaft. Durchgesetzt hat sich aber auch hierzulande der Begriff EVP. Vereinfacht ausgedrückt, verbirgt sich hinter der Employee Value Proposition die Summe aller Annehmlichkeiten und Vorzüge, die ein Unternehmen als Arbeitgeber für eine bestimmte Zielgruppe attraktiv macht – und damit natürlich auch von Wettbewerbern unterscheidet. Zur EVP gehören also auch ganz klassisch die Vergütung, zusätzliche Benefits wie Gesundheits- oder Altersvorsorge sowie Weiterbildungs- und Entwicklungsmöglichkeiten.
Mittlerweile sind allerdings auch sinnstiftenden Tätigkeiten oder die Unternehmenskultur elementar für eine EVP, weil sie Unternehmen im Wettbewerb um vielversprechende Kandidaten gut oder weniger gut aussehen lassen. Und weil in vielen Bereichen die jungen, talentierten Kandidaten selten zu finden sind oder aber der Wettbewerbsdruck besonders hoch ist, wird die EVP im Rahmen einer dezidierten Talentstrategie immer mehr zur Chefsache.
Wie könnte ich mir als CEO auch eine bestimmte Kultur in meinem Unternehmen wünschen, wenn ich selbst etwas anderes vorlebe? Als Führungskraft muss man sich selbst jeden Tag fragen „war ich heute ein gutes Vorbild für meine Mitarbeitenden?“.
Führung als Vorbild
Es ist ein strategisches Ziel und deshalb eben auch ganz oben angesiedelt. Eine starke, divers aufgestellte Belegschaft ist nicht nur Innovationstreiber im Unternehmen, sondern sorgt in unsicheren Zeiten für die nötige Resilienz.
Wie wichtig die EVP für das Recruiting und damit für den Unternehmenserfolg ist, zeigt eine Untersuchung der Unternehmensberatung McKinsey aus der Öl- und Gasindustrie. Unternehmen aus diesem Sektor haben es besonders schwer, die richtigen Talente für sich zu gewinnen. Wir erinnern uns, Purpose und sinnstiftende Arbeit als wichtige Aspekte der EVP vertragen sich nicht unbedingt mit den deutlich negativen Auswirkungen fossiler Energieträger auf die Umwelt.
Entsprechend haben die Experten von McKinsey People Analytics anhand öffentlich zugänglicher Informationen die EVP-Bewertungen von mehr als 70 Unternehmen aus der Branche sowie die entsprechenden Fluktuationsraten analysiert. Das Ergebnis: Je niedriger die EVP-Bewertungen, desto höher die Fluktuationsraten. Was an der Untersuchung allerdings noch viel interessanter ist: McKinsey hat außerdem die fünf EVP-Kategorien Work-Life-Balance, Kultur, Karrieremöglichkeiten, Vergütung und Sozialleistungen sowie den Führungsstil untersucht und dabei festgestellt, dass in der Öl- und Gasindustrie zwar viel gezahlt wird, beim Führungsstil allerdings die niedrigsten Werte erzielt wurden.
Die zentrale Erkenntnis der Untersuchung: Verbessern die Unternehmen ihren Führungsstil, verbessern sie ihre EVP-Werte und halten Mitarbeiter länger im Unternehmen.
Hand in Hand: HR und Chefetage
Mit dieser Erkenntnis im Gepäck wird allerdings auch umgekehrt ein Schuh draus: Die Personalabteilung kann sich noch so sehr bemühen, die EVP für potenzielle Kandidaten besonders attraktiv zu gestalten, passt der Führungsstil nicht und finden sich in den Chefetagen keine positiven Vorbilder, wird mindestens das Recruiting deutlich schwerer, vor allem aber die langfristige Bindung der Mitarbeiter.
Auf der Unleash-Konferenz in Paris im vergangenen Oktober sagte beispielsweise der CEO von Aliaxis, Eric Olson, auf dem Podium: „Ich habe bisher gedacht, dass man mit der richtigen Strategie und den richtigen Finanzkennzahlen ganz vorne mit dabei ist. Nun habe ich erkannt, dass das Einzige, worauf es wirklich ankommt, außergewöhnliche Mitarbeiter im Unternehmen sind.“ Und die stellvertretende Vorstandsvorsitzende von L’Oréal, Barbara Lavernos, ebenfalls auf dem Podium, ergänzt: „Die Personalabteilung wird zum ultimativen Begleiter des CEO. Technologie kann kopiert werden, Prozesse können nachgeahmt werden, aber die Menschen und die Kultur einer Organisation sind einzigartig. Die Mitarbeitenden sind das Unternehmen.“
Mehr Resillienz im Unternehmen erfordert Umdenken
Für Führungskräfte heißt das zunächst einmal: umdenken und umdisponieren. Denn auf den ersten Blick haben sie, je stärker sie in diese Art von Personalaufgaben involviert werden, zwangsläufig mehr auf den Tisch. Führungsetagen, die EVP jedoch als zusätzliche Belastung wahrnehmen, denken zu kurz. Erstens heißt ein höheres Engagement in Bereich Recruiting und Personalführung nicht, dass die Personalabteilung arbeitslos wird. Im Gegenteil, es ist wie eben schon beschreiben eine gemeinsame strategische Zielsetzung, die zum Erfolg führt. Es geht lediglich darum, dass Führungskräfte und Vorstandsmitglieder deutlich stärker als bisher in Personalfragen involviert sind, sie sollen sie nicht komplett übernehmen.
Und wenn dann die Talentstrategie einmal aufgeht und die richtigen Kandidaten an Bord geholt werden können und da auch bleiben, wird das Leben auf der Chefetage auch wieder einfacher. Denn gerade in einer derart komplexen Welt, in der Führungskräfte tagtäglich wichtige Entscheidungen treffen müssen, ist es elementar, sich auf die Experten und das Fachwissen im Haus verlassen zu können. Die EVP, die die richtigen Talente mit einem breiten Wissens- und Erfahrungsschatz anzieht, sorgt also letztendlich dafür, dass Unternehmen wesentlich ruhiger auch die schwierigeren Fahrwasser manövrieren können – und das ist nichts anderes als die Definition von Resilienz.
Ein Wertversprechen setzt Werte voraus
Auch deshalb ist ein Wertewandel im Unternehmen, von oben eingeleitet dieser Tage so wichtig. Führung hat sich deutlich verändert. Die Anforderungen der Belegschaft haben sich verändert. Für Unternehmen ist das eine große Chance, die während der Pandemie entwickelten Werkzeuge wie Nähe und Empathie zu nutzen, um eine neue Art der Zusammenarbeit zu definieren, die auf Vertrauen aufgebaut und damit nachhaltiger ist.
Für viele Unternehmen ist das ein gewaltiger Wertewandel, der nur gelingen kann, wenn er vom Vorstand, der Geschäftsführung und den Führungskräften vorgelebt wird. Sie sind die Vorbilder, an denen sich ein gemachtes Werteversprechen an die Mitarbeiter messen lassen muss. Vor allem die jüngeren Talente denken nicht ausschließlich an die Stelle und die damit verbundenen Aufgaben, auf die sie sich bewerben. Es geht ihnen vielmehr um ein breites Spektrum an Möglichkeiten und Erfahrungen, die ein Arbeitgeber bieten kann. Das schließt den Aufgabenbereich selbstverständlich mit ein, umfasst aber beispielsweise auch Fragen nach einem Mentoring, Karriereperspektiven und Austauschmöglichkeiten innerhalb einer möglichst diversen Belegschaft. Für viele Menschen ist das mittlerweile mindestes genauso wichtig – wenn nicht sogar noch wichtiger – wie die Vergütung, Sozialleistungen und andere eher monetär ausgerichtete Benefits.